Prävention sexualisierter Gewalt
Kinder und Jugendliche sind begeisterte Pferdefans. Ihre hohe Motivation und große emotionale Bindung ist vielleicht das größte Kapital des Pferdesports. Sie wollen - auch in Zeiten der Ganztagsschule - über das Reit-, Fahr- oder Voltigiertraining hinaus Zeit mit ihrem geliebten vierbeinigen Sportpartner und mit gleichgesinnten Pferdefreunden verbringen. Nur selten machen wir uns klar, dass unsere Kinder und Jugendlichen dabei geschützt werden müssen. Nur selten stellen wir uns der schwer fassbaren Erkenntnis, dass Pferdesportanlagen neben ihrer fröhlichen Vorderseite auch eine gefährliche Rückseite haben können.
Etwa jedes vierte bis fünfte Mädchen und jeder neunte bis zwölfte Junge macht vor dem 18. Lebensjahr mindestens einmal eine sexuelle Gewalterfahrung.
Die Dunkelziffer ist noch viel höher. Kinder und Jugendliche werden in allen gesellschaftlichen Bereichen Opfer sexualisierter Gewalt. Sie ist kein Phänomen einzelner Schichten oder Organisationen. Sie macht vor Familien, Kirchen oder Schulen genauso wenig Halt wie vor Sportvereinen. Auch im Pferdesport ist sie nicht zu leugnende Realität.
Es ist nicht möglich, Täter oder Täterinnen durch äußere Merkmale oder augenscheinlich auffälliges Verhalten zu erkennen. Tatsächlich handelt es sich oft um erfolgreiche Menschen mit tadellosem Ruf, die das Vertrauen ihres Umfeldes genießen. In ungefähr einem Drittel der Fälle sind die Täter selbst noch minderjährig. Fatal, wenn dies zu einer Bagatellisierung führt.
Sexualisierte Gewalt und Grenzverletzungen haben viele Gesichter. Dazu gehören anzügliche Bemerkungen, sexistische Sprüche und wie zufällig erscheinende Berührungen bei der Hilfestellung oder Siegerehrung ebenso wie sexuelle Nötigung bis hin zur Vergewaltigung. Eine eindeutige Grenzlinie kann nicht gezogen werden. Entscheidend ist dabei das Empfinden des Opfers. Im Strafgesetzbuch sind die Paragrafen maßgeblich, unter denen die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung abgehandelt sind.
Verantwortung übernehmen und tätig werden
Die Aufforderung, sich aktiv für das Kindeswohl und die Prävention sexualisierter Gewalt einzusetzen, erreicht die Pferdesportvereine über mehrere Wege. Innerhalb der Sportorganisation hat der Deutsche Olympische Sportbund mit seinen Spitzenverbänden (u. A. der Deutschen Reiterliche Vereinigung) und seinen Landessportbünden die Initiative entfacht. Das Bundeskinderschutzgesetz nimmt die öffentlichen Träger der Jugendhilfe verstärkt in die Pflicht.
Zuallererst sind es aber die Kinder und Jugendlichen selbst sowie deren Eltern, die tätig werden und die aktive Prävention von den Vereinen verlangen dürfen und müssen. Erstaunlich eigentlich, dass bisher seitens der Eltern noch recht selten danach gefragt wird. In anderen Sportarten erfolgt dies teils schon mit deutlich mehr Nachdruck.
Seit dem 1. Januar 2012 verlangt das Bundeskinderschutzgesetz, dass alle hauptamtlichen Mitarbeiter in der öffentlichen und freien Jugendhilfe ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen müssen. Für Mitarbeiter der freien Träger, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, soll die Vorlage vereinbart werden. Für Personen, die ehrenamtlich mit Kinder und Jugendlichen arbeiten, müssen die öffentlichen Träger (Jugendämter) mit den freien Trägern der Jugendhilfe Vereinbarungen treffen, wann ein erweitertes Führungszeugnis verlangt werden soll. Hierunter fallen auch Pferdesportvereine, die in NRW über ihre Mitgliedschaft in der Sportorganisation unter die Anerkennung als freier Träger fallen.
Die Deutsche Reiterliche Vereinigung hat die Forderung nach einem erweiterten Führungszeugnis aufgenommen und mehrfach in der Ausbildungs- und Prüfungsordnung verankert, zum Beispiel für alle Personen, die eine Trainerprüfung ablegen wollen, für Turnierfachleute oder für die Zertifizierung von Vereinen und Betrieben.
In einem erweiterten Führungszeugnis sind zum Beispiel Sexualdelikte aufgeführt. Mit der Vorlage dieses Dokumentes können Vereine sich davor schützen, verurteilte Sexualstraftäter mit der Betreuung von Kindern und Jugendlichen zu beauftragen.
Allerdings darf das erweiterte Führungszeugnis nicht als Allheilmittel gegen sexualisierte Gewalt verstanden werden, denn ein erheblicher Teil der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung kommt nie zur Verurteilung oder wird gar nicht erst zur Anzeige gebracht. Es kann nur als sinnvolle Ergänzung der vorbeugenden Maßnahmen eingeordnet werden.
Was können Vereine tun?
Es gibt mehrere Ansatzpunkte. Sie umfassen einerseits formale Aspekte wie das erweiterte Führungszeugnis. Mehr noch geht es aber darum, aufmerksam zu sein, für wichtigen Diskussionsprozess zu sorgen und ein gutes Schutzkonzept zu entwickeln. Die gemeinsame Vereins-Botschaft „Wir dulden keine sexualisierte Gewalt!“ kann in der Satzung verankert werden, unübersehbar am Schwarzen Brett prangen und in der Mitgliederversammlung angesprochen werden. Jeder Ausbilder, Betreuer und Vorstandsmitarbeiter kann sich durch die Unterzeichnung des Ehrenkodex selbst zur Einhaltung entsprechend formulierter Regeln verpflichten. Solche Maßnahmen machen Tätern, die gezielt Vereine aufsuchen, schnell klar, dass sie hier kein leichtes Spiel haben. Gleichzeitig erfahren Eltern, dass hier auf ihre Kinder achtgegeben wird. Auch für Kooperationspartner wie Schulen und Kindergärten ist das ein gutes und klares Signal.
Weitere Ansatzunkte begegnen dem besonderen Macht- und Hierarchiegefüge, das oft kennzeichnend für die Beziehung zwischen Täter und Opfer ist. Klare und transparente Organisationsstrukturen und ein gutes Beschwerdemanagement sind wichtige Elemente, die solche Situationen zumindest erschweren. Sie gehören darum in jedes Präventionskonzept. Besonders sorgfältig sollen solche Situationen betrachtet werden, die von hohen emotionalen Abhängigkeiten geprägt sind. Dazu gehört auch die Bindung an das Pferd. Fälle dokumentieren, dass Täter dies gezielt ausnutzen.
Qualitätsbündnis zum Schutz vor sexualisierter Gewalt im Sport
In einer gemeinsamen Initiative haben der Landessportbund Nordrhein-Westfalen und das NRW-Sportministerium das "Qualitätsbündnis zum Schutz vor sexualisierter Gewalt im Sport" ins Leben gerufen.
Vom ersten Pilotprojekt bis in die Gegenwart hat die Idee sich beständig weiterentwickelt. Zentrale Idee ist die enge Vernetzung und der Tranfer von Fachwissen. Dazu wurden beispielsweise gute, fachliche Qualitätskriterien für die Prävention und Intervention erarbeitet.
Vereine, Kreis- und Stadtsportbünde sowie Fachverbände können sich dem Bündnis anschließen.
Unterstützung für Vereine
Vereine, die das Thema aktiv angehen wollen, werden durch das Vereins-, Informations-, Beratungs- und Schulungs-System des Landessportbundes NRW (VIBSS) fachlich fundiert (und überwiegend kostenfrei) begleitet. Wie wäre es zum Einstieg mit einem Impulsvortrag in der Mitgliedersammlung? Um gemeinsam im (erweiterten) Vorstand ein individuell auf den Verein zugeschnittenes Präventionskonzept zu erarbeiten, kommt ein geschulter VIBSS-Berater in den Verein, zum Beispiel an einem Samstag. Schließlich kann eine Fortbildung für Ausbilder und Jugendleiter organisiert werden, die zur Verlängerung der DOSB-Trainerlizenz anerkannt wird.
Informationsmaterial der Deutschen Reiterlichen Vereinigung
Informationen zur Prävention sexualisierter Gewalt hat die Deutsche Reiterliche Vereinigung auf ihrem Internetportal zusammengestellt.
Informationsmaterial des Landessportbundes NRW
Wir empfehlen gern das folgende Informationsmaterial des Landessportbundes Nordrhein-Westfalen, das kostenfrei heruntergelanden werden kann oder - ebenfalls kostenfrei - als Printprodukt per Mail bestellt werden kann.
Print-Material per Mail bestellen
Handlungsleitfaden für Vereine (LSB NRW)
Broschüre "Finger weg! Pack mich nich an!" (LSB NRW)
Broschüre "Wir können auch anders" (LSB NRW)
Plakat "Wir können auch anders" (A4)
Plakat "Grabschen in uncool" (A4)
Ansprechpartner und Beratungsstellen
Die Deutsche Reiterliche Vereinigung hat eine Kooperationsvereinbarung mit der bundesweiten Anlaufstelle zu sexueller Gewalt N.I.N.A. getroffen. Im Zuge dieser Zusammenarbeit können Kinder und Jugendliche, Eltern, Vereinsvorstände und Ausbilder unter der Telefonnummer 0800 22 55 530 Beratung in Anspruch nehmen.
Das bundesweite „Hilfetelefon Sexueller Missbrauch“ bietet unabhängige, anonyme und kostenfreie Unterstützung für Betroffene und Menschen, die sich um ein Kind Sorgen machen. Alle Gespräche sind vertraulich. Melden Sie sich, wenn Sie in Not sind, Fragen zum Thema haben oder Entlastung und Stabilisierung benötigen. Die Fachkräfte am Telefon hören zu und helfen weiter.
Die Beratungszeiten sind montags, mittwochs und freitags von 9 bis 14 Uhr sowie dienstags und donnerstags von 15 bis 20 Uhr.
Das „Hilfetelefon Sexueller Missbrauch“ ist ein Angebot des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs in Trägerschaft und fachlicher Leitung von N.I.N.A. e.V..
Ansprechpartnerin in der FN ist Maria Schierhölter-Otte. Telefon 0 25 81 6 36 21 35,
Kinder und Jugendliche können sich auch kostenlos und anonym am Kinder-und Jugendtelefon „Nummer gegen Kummer e.V.“ (in Kooperation mit dem Deutschen Kinderschutzbund) beraten lassen. Telefon 08 00 1 11 03 33 (Montag bis Freitag von 15 bis 19 Uhr).
Ansprechperson im Pferdesportverband Rheinland ist Josefine Pierkes. Telefon 0 21 73 10 11 116.
Ansprechperson im Pferdesportverband Westfalen ist Brigitte Hein. Telefon 02 51 3 28 09 39,